5/24/2011

You Are Precious


Wie schön! Sie betrachtet sich im Spiegel, und erinnert sich an das Motto von einer Freundin, das sie neulich gelesen hat: „You are precious“. Sie hebt ihre runterhängende Augenlider, und ihr Herz schrumpft einmal ganz stark wie durch einen Stromschlag. Der Föhn dröhnt ins Ohr, die um die Taille langen Haare tanzen, das hinter diesen langen Haaren halb versteckte noch junge Gesicht zeigt voller Hartnäckigkeit. Sie sieht ein paar reine aber standhafte Augen, die leicht nach oben gehobenen Mundecken auf dem von klarer Linie gezeichneten Kiefer, den schlanken Hals, die gesunden kräftigen Arme, und die von ihrem engen nassen Bikini betonte schmale Taille. Sie sieht die mit ihren Haaren tanzenden Blicke von Herren und Damen, die an ihr vorbei laufen oder in ihrer Nähe stehen geblieben sind. In ihr steigt plötzlich ein Gefühl hoch, als wäre sie in sich selbst verliebt. Die schönen halb trockenen Haare, rosa-rouge Wangen, saubere glatte Haut... Was hat eine nach dem Regen frisch geblühte Seerose mehr anzubieten?

„You are precious“, sagt sie sich selbst, und grübelt, wie sie dieses Motto stets vor Augen halten kann. Sie ist immer wieder überrascht, dass man ihr auch in schwierigen Situationen diesen Satz gesagt hat. Sie vermutet, das ist bestimmt nicht nur ihrer Schönheit wegen.

Sie schwenkt ihren Kopf einmal kräftig, so dass ihre auf der Schulter liegenden Haare ihr Gesicht nicht mehr verstecken. Sie hält ihre Hände auf der Brust, und seufzt. Sie muss an die unzähligen Male denken, wo sie stolz auf der Straße lief und beneidenden oder schwärmenden Blick genoß. Aber tief im Herzen ist ihr ganz klar, wie seicht dieser Genuss ist. Schade, sie murmelt, habe ich denjenigen verpasst, der diese Schönheit zu schätzen weiss, oder ist derjenige noch nicht aufgetaucht?

Sie verlässt das Bad und stürzt sich in den warmen Wind, der sie verzaubert. Sie weiss noch, dass sie als kleines Kind schon dieses Gefühl sehr mochte, wie der Sonnenschein auf ihrer Schulter saß und eine Ecke von ihrem Kleid im Wind tanzte. Sie guckt nach oben: die Bäume in der Allee fangen an zu blühen, und Vögel singen besonders fleißig in der Dämmerung. So streckt sie ihre Arme, lässt ihre Finger an den neuen Blüten gleiten und Wind zwischen ihren Fingern fliegen. Sie atmet die freie Luft, und in dem Moment scheint alles eindeutig zu werden.

Ja, „I am precious“. Es scheint ihr plötzlich klar geworden zu sein, so dass ihre Augen richtig strahlen. Nicht die schönen langen Haare, sondern die Zartheit, die unter diesen Wellen verborgen ist. Nicht die dunklen Augen, sondern die hinter diesen Fenstern versteckte tiefe sinnliche Seele. Nicht der sanfte Rücken, sondern die feste Überzeugung, die die Silhouette betont. Nicht die roten Lippen die schmale Taille, sondern die vergossene Leidenschaft wenn sie tanzen. Somit, sie entscheidet sich, ich soll keine Aufmerksamkeit mehr für Schleimer-Lächeln schenken.  Sie lächelt, weil sie jetzt weiss, dass sie diese Schönheit jemandem zum Aufbewahren schenken wird, der sie zu schätzen weiss.

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